Surinam
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Ende August verlassen wir,
entsprechend unserer bewährten Flussstrategie,
St.Laurent-du-Maroni. Wir laufen mit dem beginnenden Ebbstrom flussabwärts
und ankern für einige Stunden, um bei beginnender Stromumkehr den
Fluss zu verlassen. Wir segeln über Nacht um bei Tageslicht mit einlaufender
Flut den Surinam River hinaufzufahren. Das Nachtsegeln unter dem Sternenhimmel
ist prächtig, nur hat es für meinen Geschmack zu viele Fischerboote,
einige davon ohne Licht und in der Dunkelheit schwierig zu erkennen. Zum
Glück mussten wir nie ein abruptes Ausweichmanöver machen.
Der Surinam Fluss führt braunes Wasser wie der Maroni. Umso mehr fällt
die Einmündung des Commenwijne Flusses mit seiner blauen Färbung auf.
Einige hundert Meter fliessen die beiden verschiedenen Farben nebeneinander her
ohne sich zu mischen.
Vor der Hauptstadt Paramaribo suchen wir einen Ankerplatz. Aus Berichten
von anderen Seglern sind uns 3 Möglichkeiten bekannt. Erstens vor dem Hotel
Torarica, zweitens vor der Waterfront oder drittens einige Meilen stromaufwärts
in Domburg.
Vor der Waterfront gibt’s keinen sicheren Steg fürs Beiboot, vor dem
Hotel wird ein Ankergeld von 50 US$ verlangt, um den Steg, die Duschen und das
Pool zu benutzen. Am nächsten Morgen ziehen wir folglich flussaufwärts
bis nach Domburg. Dort liegen noch 6 weitere, vor allem holländische Schiffe.
Da Surinam eine holländische Kolonie war ist die Amtssprache noch immer
Holländisch.
Seit 1975 ist Surinam unabhängig und seit 1987 eine Präsidialrepublik.
Mit 163 265 km² und 480 000 Einwohnern, wovon knapp 50% in der Hauptstadt
wohnen, ist es ein locker besiedeltes Land. Faszinierend ist das Völkergemisch:
35% Inder, 32% Afro-Surinamesen, 15% Indonesier, 10% Maroons, 2% Amerindianer
und 2 % Chinesen und Europäer. Das friedliche Zusammenleben aller Religionen
spiegelt sich im offiziellen Feiertagskalender des Landes. Ich glaube das ist
einmalig, deshalb möchte ich ihn vom Jahr 2006 aufzeichnen:
Neujahr 1. Januar, Chinesisches Neujahr 9. Februar, Karfreitag 25. März,
Frühlingsfest der Hindu 26. März, Ostern 27. / 28. März, Tag der
Arbeit 1. Mai, Befreiung von der Sklaverei 1. Juli, Ende des Ramadans 3. November,
Unabhängigkeitstag 25. November, Weihnachten 25. /26. Dezember.
In der Hauptstadt steht die grosse Mosche neben der Synagoge, nicht weit davon
entfernt die Kathedrale und Hindutempel entlang der Ausfallsstrassen. Paramaribo
hat einen gut restaurierten Kern von schönen grossen Holzhäusern und
auch die Kathedrale mit zwei mächtigen Glockentürmen ist aus Holz gebaut.
Am Ufer thront ein altes Fort und dahinter liegt in einem Garten das klassizistische
Regierungsgebäude. Entlang der Uferpromenade reihen sich die alten schmucken
Häuser der kolonialen Kaufleute aneinander. Eine grosse Markthalle mit farbenfrohen
Gemüseständen und Angeboten für alles Lebensnotwendige ist an
der gleichen Strasse.
Surinam ist für seinen riesigen, noch weitgehend intakten Regenwald bekannt.
Noch herrscht kein Touristenboom. Über ein auf Surinam spezialisiertes Reisebüro
in der Schweiz hatte ich eine Kontaktadresse in Paramaribo. Per E-Mail erhielten
wir Reisevorschläge. Nach Studium der Unterlagen und unserer Surinam-Landkarte
entschieden wir uns für die "Tebutop-Expedition". Das Programm
schien uns vielversprechend und abenteuerlich.
Am Samstag 9. September treffen
wir unsere (holländische) Reisegruppe
und werden mit einem Bus nach Albina zum Maroni Fluss gebracht.
Am Ufer liegen verschiedene Piroguen, eine davon ist unser
Transportvehikel für die nächsten 10 Tage. Das Beladen des Bootes mit Lebensmitteln,
800lt Benzin in Fässern, Küchenutensilien und unseren Rucksäcken
dauert eine Weile. Das Schiff ist gerade so breit, dass auf den Bänken
zwei Personen nebeneinander sitzen können. Wir sind 9 Teilnehmer,
ein Guide, eine Köchin und zwei Bootsführer. Der 75 PS Aussenborder
bringt uns flussaufwärts. Die schwere Ladung lässt das Boot
relativ tief im Wasser liegen, Spritzwasser kommt gelegentlich ins Boot.
Nach dem Mittagshalt in einer kleinen Siedlung mit Camp kommt der Motor
nicht auf Touren, beginnt zu stottern und setzt auch aus. So können
wir keine Stromschnellen überwinden, deshalb gibt’s eine Programmänderung
und wir kehren zum Mittagscamp zurück. Wir entladen das Boot und
die Bootführer kümmern sich um die Reparatur.
Unsere Unterkunft ist ein offener mit Palmblättern bedeckter Unterstand.
Wir werden instruiert, wie wir die Hängematten in die Moskitonetze
einfädeln können und wie das Ganze dann an den Querbalken zu
befestigen ist. Bald hängen die "Schaukelbetten" eng nebeneinander.
Es braucht etwas Übung zwischen Netz und Hängematte zu schlüpfen,
sich auf diese zu setzen und dann abzuliegen. Die erste Nacht ist ungewohnt.
Mit jeder weiteren geniesse ich diese praktische und bequeme Schlafgelegenheit
(mitnehmbar und keine Rückenschmerzen von schlechten Hotelmatratzen).
Am nächsten Tag sind wir einige Stunden im Kanu unterwegs. Der sehr
breite Fluss wird zunehmend schmaler und auch untiefer. Der eine Bootsführer
sitzt am Bug und gibt mit Handzeichen die Richtung des Fahrwassers an.
Oftmals geht's knapp an Felsen und Steinen vorbei oder mit knapper Wassertiefe
darüber. Der andere Bootsführer steuert das Boot mit dem 75
PS Aussenborder sehr professionell. Immer wieder müssen wir durch
reissende Stromschnellen flussaufwärts fahren. Geschickt wird die
Strömung und die Beschleunigung des Motors genutzt, gelegentlich
wird ein Ruder oder eine Stange als Drehpunkt eingesetzt, um in den Strudeln
z- oder s-förmig um die Felsen zu kurven. Die Gischt und die Wellen
klatschen häufig ins Boot und über uns. Jedenfalls sind wir
täglich mehr nass als trocken und da es nachts sehr feucht ist, steigen
wir jeden Morgen in die feuchten Kleider und Sandalen.
Wie die Einheimischen leben wir auf, am und im Fluss. Unsere Strasse ist
der Fluss. Er ist auch Geschirr- und Kleiderwaschplatz, sowie unser Badezimmer
und Schwimmbad,
Nicht alle Stromschnellen können mit einem so schweren/grossen Boot überwunden
werden. An den Granholo Falls müssen wir alles ausladen und an den
Oberlauf tragen und die ganz schweren Benzinfässer auf einer Rollbahn
hochziehen.
Wir erreichen Granbori, das letzte Dorf der Maroons und müssen
uns bei der Dorfchefin (!) abmelden, bevor wir weiter flussaufwärts
fahren. Die Maroons sind Nachfahren entflohener Plantage-Sklaven, welche
sich im Urwald versteckten und ihre afrikanische Kultur erhalten konnten.
Sie sind Christen, aber ihre Ahnen und traditionellen Götter kommen
nicht zu kurz. Es gibt 6 verschiedene Stämme. Alle haben eine eigene
Sprache, welche aus dem afrikanischen Landesdialekt und der Beimischung
von Portugiesisch, Holländisch oder Englisch, abhängig aus welcher
Plantage sie entlaufen waren, entstand. Sie leben in Dorfgemeinschaften.
Ihre Hütten haben Holzwände und sind mit einem Palmblätterdach
oder moderner mit Blech bedeckt.
Den Granborifall befahren die Bootsführer ohne Passagiere, wir umgehen
ihn auf dem Landweg. Bei der nächsten Stromschnelle geht unsere Gasflasche über
Bord und schwimmt rasch mit dem Strom flussabwärts. Geschickt wird
das Kanu rückwärts (!) durch das strudelnde Wasser gelenkt und
die Flasche aufgefischt.
Der Tapanahoni Fluss hat jetzt ein anderes Aussehen. Die
aus dem Wasser ragenden Felsen sind rundgeschliffene Buckel.
An untiefen Stellen wachsen auf den Steinen breitblätterige Pflanzen mit pinkfarbenen
Blumen. Oftmals sehe ich keine eindeutige Fahrrinne in all den Blumen,
aber die Bootsführer finden immer einen schiffbaren Kanal.
Wir erreichen unser Nachtquartier, das Tutu Camp. Dies
ist unser erster Kontakt mit einer Ameroindianer Grossfamilie.
In einer ca. 20m im Durchmesser und mindestens 10m hohen Rundhütte mit kunstvoll
gearbeitetem Palmblätterdach befestigen wir unsere Hängematten.
Die Indianer sind viel ernster und introvertierter, die Kinder scheu.
Die Hütten stehen erhöht auf Pfählen und haben keine Wände.
Eigentlich sind sie eine überdachte Plattform. Im Unterschied zu
den Dorfgemeinschaften der Maroons, leben die einzelnen Indianerfamilien
für sich. Am nächsten Tag sehen wir an den Ufern immer wieder
einige Hütten in einem gerodeten Stück Urwald, die davor liegenden
Kanus und am Ufer oder im Wasser spielende Kinder.
Wir erreichen den für unser Boot nicht schiffbaren Gaan Paana Soela.
Das Kanu wird entladen. Fünf Freiwillige, der Guide und die Bootsführer
fahren bis an die Stromschnelle heran. Dann steigen wir ins knie- bis
hüfttiefe Wasser und ziehen und stossen das Schiff über die
Schnelle hoch. Der Grund ist glitschig, bewachsen und uneben. Zwischen
den Steinen in einem Loch stehend kann ich mich gut anstemmen und ziehen.
Zweimal bin ich ausgerutscht und die starke Strömung hätte mich
mitgerissen, wenn ich mich nicht am Schiff oder an der Zugleine hätte
halten können. Unter grosser Kraftanstrengung überwinden wir
auch dieses Hindernis und stemmen uns möglichst schnell ins Boot,
bevor es von den Strudeln wieder nach unter geschwemmt
wird.
In Apetina, einer ausnahmsweise grösseren Indianersiedlung
mit Schule, Ersthilfestelle und Kirche, werden wir durch die Pflanzungen
geführt. Casavawurzeln, Süsskartoffeln, Mais, Zuckerroh, Baumwolle
und Kaffe werden angepflanzt. Mango- und Papayabäume liefern Früchte.
Die Hängematten sind eng nebeneinander im "ersten Stock" aufgehängt,
unter der Plattform hat es zum Glück genug Höhe und Platz für
unseren Esstisch. Am Abend und in der Nacht regnet es tropisch. Etwas
ungemütlich fühle ich mich schon, als ich am Pfosten in der
Nähe meiner Hängematte eine handtellergrosse schwarze dicke
Spinne sehe. Ich hoffe, dass sie den Einschlupf in mein
Moskitonetz nicht findet.
Am folgenden Morgen werden wir zu Gipfelstürmern. Unser Ziel ist
der "heilige Berg", der Tebutop. Jeder Maroon pilgert 1-2x pro
Jahr auf den Berg. Am Fusse des Berges noch im Wald ist der erste Alter,
auf halber Höhe, nach Klettern auf griffigen Felsplatten, der zweite
und der dritte auf dem Gipfel. Von hier aus überblickt man den Tapanahoni
Fluss, weite Flächen Dschungel und in der Ferne einige aus dem Wald
aufragende Berggipfel.
Wir sind weit ins Innere von Surinam vorgestossen und nun
heisst es wieder zurück reisen. Das Befahren der Schnellen flussabwärts
scheint mir etwas weniger nass, was mich verführt meine Kamera schussbereit
zu halten. Allerdings nur bis eine Welle Kamera und mich
pudelnass spritzt. Mir macht es nichts aus, aber mein Fotoapparat gibt
den Geist auf.
Abwärts bezwingt die Crew mit dem leeren Boot und viel Geschick auch
den Gaan Paana Soela. Noch bleiben uns eine längere Flussfahrt ins
Suna Camp und eine kurze nach Drietabiki, einem grösseren
Maroondorf. Hier werden wir sofort von Kindern umringt. Der Vorsatz die
Tagebuchnotizen zu vervollständigen ist nicht durchführbar.
Mein Kugelschreiber wird behändigt und es entstehen Zeichnungen auf
meinen Seiten. Zudem versuchen einige Mädchen meine Haare zu einer "Zöpflifrisur" zu
flechten. Es zerrt und rupft an meinem Kopf und ich wundere mich, dass
die kleinen Kinder stille halten, wenn die Mütter ihnen eine Frisur
flechten.
Am nächsten Tag werden wir über den Flussarm auf eine Insel
zur Flugpiste gebracht. Dutzende von Erwachsenen und Kindern warten hier
unter den schattigen Bäumen. Kisten, Taschen und Pakete stapeln sich
daneben. Mit einiger Verspätung kommt ein kleines einmotoriges Flugzeug
und später landet noch eine DHS 8 Twin Otter. Wir staunen was alles
ausgeladen wird. Kühlschranke, Generatoren, Aussenborder, Ventilatoren,
Wäscheständer, Kisten, Schachteln und Säcke türmen
sich auf der Wiese und werden dann von den wartenden Leuten abtransportiert.
Nun werden die Passagiere auf die beiden Flugzeuge verteilt. Vier müssen
in das kleine, unsere Gruppe und einige einheimische Frauen mit ihren
Kindern in das "grosse" Flugzeug. Nach einem relativ ruhigen
Flug über den Dschungel und den grossen See im Landesinnern erreichen
wir Paramaribo.
Diese Reise war ein Abendteuer und ein eindrückliches Erlebnis. Wir
sahen und erlebten hautnah das Leben auf, am und im Fluss und in den einfachen
Siedlungen. Wir sahen ruhige Flussläufe und wirbelnde Stromschnellen,
dichten Urwald und ihm abgerungene Pflanzungen, dunkelhäutige, extrovertierte,
fröhliche Maroons und zurückhaltenden, ernsten Ameroindianer.
Wieder auf dem Schiff angekommen, wird es uns allerdings nicht langweilig.
Auch vor Anker zu liegen bringt oftmals Aufregendes.
In einer Nacht werden wir von einem anhaltenden und lauten
Schiffshorn geweckt. Flussaufwärts sehen wir einen riesigen Frachter,
welcher ohne korrekte Lichterführung auf die ankernden Segelschiffe
zu steuert. Wir realisieren, dass der Koloss einen Motorenschaden hat und
nur von der Strömung weitergeschwemmt wird. Für ein "Ankeraufmanöver" ist
keine Zeit, wir hätten einzig mit unserem Beiboot unser Schiff etwas
zur Seite schieben können. Aber irgendwie schafft es der Kapitän
an den Segelbooten vorbei zu kommen, wenn der Abstand zu uns auch nur
noch zwei bis drei Meter beträgt.
In unserer Abwesenheit musste unser Mitsegler unsere schlierenden
Anker mit Hilfe anderer Segler neu setzen. Warum ein Anker
eine Woche gut hält und dann plötzlich so etwas passiert, ist
mir nicht klar.
Eine böse Überraschung hatte unser Bootsnachbar. Als er eines
Morgens erwachte, konnte er aus seinen Bullaugen rundum Äste sehen,
wie wenn er in einem Wald wäre. Ein den Fluss hinuntertreibender
Baum verfing sich in seiner Ankerkette und "wickelte" sich
um sein Schiff. Mit vereinten Kräften und einigen Beibooten wurde
das Schiff nach Stunden befreit.
Eines Tages blickt unser Mitsegler zum auf dem Baum gefalteten
und zugedeckten Grosssegel hinauf. Was liegt da zusammengerollt
darunter? Eine schön gezeichnete Schlange. Im Pilotbuch mit Angaben über
den Surinam River haben wir gelesen, dass es giftige Flussschlangen gibt,
die manchmal entlang der Ankerkette auf Schiffe gelangen. Nun was tun?
Wir schwenken den Baum so weit nach aussen, dass wir die um 2 m lange
Schlange mit dem Bootshaken ins Wasser schubsen können. Sofort schwimm
sie wieder zum Schiff zurück und reckte sich hoch, um wieder an Bord
zu gelangen. Nochmals setzten wir den Bootshaken ein und schlagen sie
ins Wasser zurück, wo sie dann abtaucht.
Am 23. September verlassen wir Surinam. Drei Tage später erreichten
wir Trinidad.
Es fehlen jetzt noch gut 80 nM bis nach Grenada, dann sind
wir wieder dort, wo wir zur Erdumrundung westwärts aufgebrochen sind.
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