Belem am Rio Para und eine Reise auf dem Amazonas
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Von Fortaleza nach Belem segeln wir relativ weit von der Küste entfernt, da wir den Guyana Strom, der entlang der Nordküste Brasiliens läuft ausnützen wollen. 50 bis 150 nM vor der Küste erreicht er seine maximale Geschwindigkeit und unser Schiff segelt mit Unterstützung der Strömung bis 10 Knoten über Grund. Wir erreichen Tagesetmal von über 200 Meilen. In der dritten Nacht lässt der Wind etwas nach und ändert auch seine Richtung. So kreuzen wir vor dem Wind in langen Schlägen. Bald sind wir auf der Nordhalbkugel, dann wieder auf der Südhalbkugel. Wir pendeln über den Äquator hin und her, einmal ist Sommer, dann wieder Winter, wobei die Hitze und die senkrechtstehende Sonne konstant bleibt. Nachts sehen wir jetzt das Kreuz des Südens tief am Horizont und gegenüber die Deichsel des Grossen Bären.
Wir sind einige Stunden früher als berechnet an der Flussmündung des Rio Pará aber nicht unglücklich darüber, da der Wind schwach geworden ist und der Gegenstrom uns langsam macht. Zum Glück ist unsere Position auf der Seekarte und mit dem GPS klar, denn die Flussmündung ist so weit, dass wir nur links ein Ufer haben und rechts eine weite Wasserfläche ohne Begrenzung. Wir wissen, dass die Strömung bald mit uns laufen wird und wollen das ausnützen, d.h. so lange als möglich den Fluss hoch segeln, um am folgenden Tag eine kürzere Strecke bis nach BeIem bewältigen zu müssen. Die Berechnungen der Strömungsverhältnisse im Fluss sind relativ komplex und wir brauchten mindesten 4 verschiedene Tabellen. Es ist schon dunkel, als wir vor Colares, einem kleinen Ort 35 Meilen vor Belem ankern. Bei Tagesanbruch ist der Strom für uns wieder günstig. Der Fluss ist jetzt schmaler geworden und nur noch 2x Zürichseebreite. Das Wasser ist braun und hin und wieder teilt es sich und umfliesst kleinere und grössere Inseln. Eine sehr bekannte Insel zwischen dem Rio Pará und dem Amazonas ist die Ilha de Marajó, welche so gross wie die Schweiz ist! Es herrscht reges Treiben. Fischer-, Flusstaxiboote, Cargo-, kleinere und grössere Passagierschiffe mit aufgehängten Hängematten auf dem Ober- und Unterdeck fahren an uns vorbei. Der Rio Pará und seine Verbindungen zum Amazonas sind die Hauptverkehrsadern im Amazonasbecken.
Am Mittag erreichen wir Belem (nach 830 nM). Wir haben in keinen Segelguides oder im Internet irgendwelche Angaben gefunden, wo ein guter Ankerplatz mit Landesteg für unser Beiboot und Wasserhahn zum Tankfüllen ist. So halten wir uns sowohl vom Handelsquai wie auch vom Fischerhafen fern und ankern in respektvollem Abstand vor der neuen Wasserfront. Dort hat es einen Steg für Touristenboote, welcher uns auch für unser Beiboot geeignet scheint. Ein Angestellter runzelt etwas die Stirne und findet unseren Platz nicht optimal. Er erkundigt sich telefonisch beim Capitano dos Portos und teilt uns mit, dass nächstens ein Boot kommen wird, um die Situation anzuschauen. Wir warten, aber es passiert nichts. So kehren wir nach einem Rundgang am Quai und einem Internetbesuch auf Schiff zurück. Es ist schon dunkel und das Nachtessen gerade fertig gekocht, als mit Blaulicht und Horn das Kontrollboot eintrifft. Meine beiden Männer fahren zu diesem rüber und werden in Schlepp genommen und ans Ufer gebracht. Dann sind sie für 2 Stunden verschwunden. Fazit: wir sollten sofort umankern, machen aber klar, dass wir in der Dunkelheit in diesem teilweise untiefen Fluss ohne eine genaue Angabe wo wir hin können und den beiden in Serie gesetzten Ankern nicht weg können. Kaum sind wir mit dem Essen fertig, sind sie schon wieder da. Nochmals sind die Männer an Land und auf dem Polizeiposten und wir versichern, dass wir bei Tagesanbruch uns einen anderen Ankerplatz suchen werden. Alle sprechen immer von einer Marina, aber niemand weiss etwas Genaueres oder wo sie ist. Irgendjemand erwähnt, dass es dort ein Hotel gebe. Bei Tagesanbruch gehen wir Ankerauf und fahren auf die Südseite der Stadt in den Rio Guamá. Dort reihen sich Flussboote aller Grössen an mehr oder weniger wackligen Stegen auf und die Häuser werden sehr klein und ärmlich. Zunehmend hat es auch Fabrik- oder Lagerhallen. Dann entdecken wir ein Restaurant und dahinter ein grössres Gebäude. Wahrscheinlich ist dies das besagte Hotel. Wir ankern hier und haben Glück. Wir sind im Hotel, am Pool und im Restaurant willkommen und können dort auch das Internet benutzen. Am Hotelsteg gibt’s Trinkwasser und wir können Kanisterweise dort holen. Doch kaum fühlen wir uns hier wohl, taucht wieder das Polizeiboot auf. Wir bekommen eine Vorladung zum Capitano dos Portos für den nächsten Tag (müssen ohnehin zum Einklarieren hin) und auch dieser Ankerplatz ist nicht genehm. Überall auf dem Fluss ist Fahrstrasse, wo soll man denn ankern? Wir setzen zwei Ankerlichter, das normale und zusätzlich das Strobelight. Am nächsten Tag erklärt uns der Polizeichef, dass wir irgend ein Gesetz übertreten haben. Allerdings können wir ihm die neuesten Seekarten zeigen, wo nirgends ein Ankerverbot eingezeichnet ist und dass wir uns im Internet bezüglich Belem schlau machen wollten, aber einfach keine Angaben für ankommende Boote zu finden sind.
Vom Hotel aus gibt’s immer eine Taxifahrt in die Stadt zum Einkaufen, zur Wäscherei oder für Besichtigungen. Das Quartier ist sehr einfach. Holzhütten, kleine Läden, Lagerschuppen und kleine Fabriken, Flussbootterminals und ein nicht allzu sauberer Kanal sind die Umgebung. Natürlich gibt’s in Belem auch schönere Quartiere, einige renovierte Häuser und Kirchen, eine moderne Wasserfront (ehemalige Lagerhäuser am Quai) und einen grossen Markt. Für uns war der Besuch des Emilio Göldi Museums interessant. Emilio Göldi war ein Schweizer, welcher zusammen mit anderen Schweizern im Amazonas zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts Flora und  Fauna erforschte, sowie archäologische und ethnologische Studien über die Indios betrieb. Das Museum steht in einem Botanischen Garten mit einem kleinen Zoo mit den wichtigsten Tierarten des Amazonas.

Auch einige Reparaturen war fällig, wie z.B. das Licht am Starterknopf des Motors. Das Licht brannte wieder. Als wir den Motor testmässig starteten, konnten wir ihn nicht mehr stoppen. Plötzlich qualmte beissender Rauch aus dem Maschinenraum. Sofort schlossen wir den Deckel und die Türe, um dem Feuer den Sauerstoff zu nehmen, drehten die Dieselzufuhr ab und griffen nach den Feuerlöschern. Allerdings brauchten wir diese dann nicht. Sobald der Startermotor durchgebrannt war herrschte wieder Ruhe und der Rauch und Gestank konnte sich verziehen. Das Problem war folgendes: der Starterknopf verkeilte sich und gab dauernd Startimpulse, so dass der Stopknopf unwirksam war. Und nun begann die Suche nach einem neuen Startermotor. An der Hotelrezeption konnten wir die Gelben Seiten des Telefonverzeichnisses einsehen und uns Notizen machen. Dann ging es per Taxi von Laden zu Laden, von Werkstatt zu Werkstatt. Nicht einmal der Yanmar Vertreter wollte ein solches Ding bestellen. Mein in São Paulo wohnhafter Cousin, dem wir unser Problem schilderten, telefonierte dann direkt mit der Fabrik. Der Chef der Fabrik kontaktierte dann den lokalen Händler und wir sollten am nächsten Tag den Ersatz mit Varig-Express erhalten. Wir hofften, dass es klappen wird, denn wir wollten noch eine Reise ins Amazonasinnere machen. Aber wir sind eben in Brasilien und hier wird mit "Brasilienzeit" gearbeitet. Jeden Tag fuhren wir beim Händler vor. Schon alle Taxichauffeure vor dem Hotel wussten von unserem Problem. Aber die Varig hatte ein Grounding und flog eben nicht. Am Sonntag erfuhren wir von einem Taxifahrer, dass ein Varigflugzeug am Flughafen gelandet ist. Am Montag konnten wir den ersehnten Startermotor in Empfang nehmen und am Dienstag einbauen. Der Motor sprang dann ohne Problem an und wir buchten einen Flug nach Santarem für den nächsten Tag.

Santarem liegt am Zusammenfluss des Rio Tapajós mit dem Amazonas. Der erstere hat rötlich-schwarzes Wasser, der zweite braunes. Beide Wasser fliessen über eine lange Strecke parallel und vermischen sich erst nach einigen Kilometern. Das Wasser des Tapaós hat einen  sauren pH-Wert und deshalb hat es hier viel weniger Mücken. Santarem ist touristisch weniger überlaufen als Manaus. In Santarem suchen wir ein Reisebüro auf, das ein anderer Segler in einem Bericht erwähnt hat. Wir haben Glück und können eine 2½ tägige Flusstour buchen. Am Folgetag schiffen wir uns ein. Das Boot hat 2 Kabinen einen offenen Essbereich und ein überdachtes, offenes Oberdeck. Wir sind die einzigen Gäste und werden von einem Kapitän, einem englisch sprechenden Reiseführer und einer exzellenten Köchin verwöhnt.
Die Trockensaison hat begonnen und die überschwemmten Flächen sind kleiner geworden. Wir fahren durch schmale Kanäle, welche in wenigen Wochen trocken sein werden. Am Ufer, resp. noch im Wasser stehen Häuser auf Pfählen. Einige sind schon wieder bewohnt, andere stehen noch leer und müssen, wenn es trockener wird erst ausgebessert und bewohnbar gemacht werden. Auch Büsche und Bäume stehen noch tief im Wasser. Kühe und Wasserbüffel suchen Halt im knietiefen Nass.
Wir begegnen Indios, welche im Kanu am Fischen sind. Hohe Bäume, teilweise weiss und rötlich blühend, und dichtes grünes Buschwerk bilden die Uferkulissen abwechselnd mit weiten Flächen von schwimmendem Gras. Bei Sonnenuntergang ankern wir und beobachten wie Hunderte von Papageien mit Gekreische an ihre Schlafplätze auf den Bäumen zurückkehren. Am nächsten Tag ist eine Wanderung im Nationalpark (Floresta National) geplant. Mit dem Beiboot setzen wir an Land, wo uns ein Einheimischer aus dem kleinen Dorf erwartet. Er zeigt uns, wie sie täglich die Gummibäume einritzen und den weissen Saft auffangen. Gummigewinnung ist noch Heute eine wichtige Einnahmequelle.
Die Maniokwurzel wird geraspelt, und das Mus in einen 2m langen geflochtenen ungefähr 10 cm dicken Schlauch gefüllt. Sobald dieser gedehnt wird, zieht er sich zusammen und presst den giftigen Saft aus. Im Strumpf bleibt das Maniokmehl zurück, welches getrocknet wird und ein wichtiger Bestandteil der Ernährung ist. Der giftige Saft wir in grosse flache Gefäss gegeben und stehen gelassen. Ein ganz feines Pulver (Tabioka) sedimentiert und ist nicht mehr giftig. Es ist ein wertvoller Eiweissträger.
Bei der Wanderung durch den Wald sehen wir zahlreiche kleinere gelbe und bunte Schmetterlinge und die handtellergrossen leuchtend blauen. Leider lassen sie sich nicht fotografieren. Wenn sie auf einem Ast sitzen, falten sie die Flügel zusammen, deren Unterseite braun ist. Sobald sie aufflattern leuchtet das schillernde Blau, aber sie sind auch schon weg. Lianen hängen von den grossen Bäumen und Orchideen  (leider nicht blühend) und Bromelien wachsen auf den Stämmen. Nach 3 Stunden erreichen wir den Teil des Regenwaldes mit den riesigen Bäumen. Die Stämme sind so dick, dass wir davor wie Menschlein  wirken und die Baumkronen sind 50 m über uns. Das sind mindestens 200 Jahre alte Riesen. Nach der Wanderung schwimmen wir im Fluss ( endlich einmal kein Salzwasser!). An diesen grossen Flussläufen hat es immer wieder feinsandige Strände oder Sandbänke, welche auch touristisch genutzt werden. Den Sonnenuntergang geniessen wir an einem solchen Strand. Bei Tageanbruch fahren wir zum Lago Maicá und seinem verzweigten Flusssystem und Schwemmland. Nun geht’s im Kanu den Wald. Das tönt sehr ungewöhnlich, aber wir paddelten wirklich zwischen den Baumstämmen und den Lianen durch auf der Suche nach Vögeln und andern Bewohner. Über unseren Köpfen (mit Aufstehen und den Arm ausstrecken erreichbar) schläft ein Faultier in einer Astgabel und höher oben in den Ästen hängen weitere. Schlecht sichtbar im Blätterwerk eines Baumes ist ein pelziges Etwas, ein kleiner Ameisenbär. Zwei Rotkopfspechte hämmern um die Wette. An einer ganz feinen Liane häng ein winziges (2x fingerhutgrosses) Vogelnestchen und darin sitzt ein buntes Kolibri. Zwischen den Baumstämmen und dem dichten Blätterwerk einfallende Sonnenstrahlen malen immer wieder Sonnenkringel aufs braune Wasser. Lautlos gleiten wir zwischen den Bäumen durch und manchmal werden wir von einem Ast gebremst oder die Passage war fürs Boot doch etwas zu eng und wir werden abrupt gestoppt. Hier im Dämmerlicht herrscht Ruhe.
Die weiten Flusslandschaften und dicht begrünten Ufer strahlen Harmonie und Frieden aus. In der Hängematte liegend geniessen wir vom Oberdeck aus diesen Eindruck. Wahrscheinlich sind die Gefühle der Indios oft mehr vom Überlebenskampf und den Wasserfluten in Regen- und Trockenzeit geprägt.
Wir haben unsere Reise auf dem Amazonas genossen.

Wer Lust hat kann auch in 3 oder 5 Tagen mit einem Flussschiff von Belem nach Santarem oder Manaus fahren. Geschlafen wir in der eigenen Hängematte und verpflegt wir man auf dem Schiff. Die hygienischen Zustände sind allerdings, wie ich gehört habe, nicht immer optimal.
Je nach Region in Brasilien ist die Bevölkerung verschieden. In Salvador beherrschte die dunkle Hautfarbe der ehemaligen Afrikanischen Sklaven das Strassenbild, in Recife und Fortaleza die der weissen Einwanderer und hier in Belem die der Indianischen Urbevölkerung.
Bald werden wir Brasilien verlassen müssen. In wenigen Tagen läuft unser dreimonatiges Visum aus.

Aber Französisch Guyana, unser nächstes Ziel, wird ebenfalls sehr gepriesen. Wir lassen uns gerne überraschen.



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